Wie ich mich selber fand

Als ich so elf Jahre alt war, hatte fast jedes Mädchen einen, mit dem sie ging.

Da wanderten Briefchen durch die Klasse auf denen stand: „Willst du mit mir gehen?“

Wer so einen Antrag bekam, fühlte sich geehrt und in wenigen Stunden, wusste die halbe Klasse davon.

Oft hatten die, die miteinander gingen gar nichts miteinander zu tun, sie blieben sich fremd.

Ich ging mal mit diesem und mal mit jenem.

Heute sehe ich, dass es gar nicht der Junge war, der mich interessierte, sondern mich interessierte dieser Status, dieser Gedanke, ich bin jetzt mit einem ZUSAMMEN. Das war so neu, daran hingen sämtliche Projektionen und es war etwas völlig anderes, als jede Kinderfreundschaft, die ich bis dahin kannte. Ich fühlte mich toll, ich fühlte mich wichtig, ich fühlte mich auserwählt.

Ich konnte endlich JA sagen, wenn andere mich fragten, hast du schon einen Freund?

Der Freund selber war dabei ganz unwichtig. Es war eher so, dass ich deshalb glücklich war, weil ich das Gefühl hatte, bei einem bestimmten Spiel mitspielen zu dürfen, von dem ich noch keine Ahnung hatte, was sich aber anfühlte wie das GROSSE SPIEL des LEBENS.

Ein Spiel, was alle Erwachsenen zu spielen schienen und alle wollten gewinnen – alle wollten

einen haben, der mit ihnen ging, der ihnen sagte: Ich liebe dich. Wer niemanden hatte war zu bedauern, denn sie durften nicht mitspielen.

 

Das erste Mal verliebt hatte ich mich erst später, da war ich schon fast vierzehn.

Ich wollte unbedingt gefallen, wollte, dass er sich auch in mich verliebt.

Und als er mich zum ersten Mal küsste, war das für mich der Beweis – er liebte mich.

Er sagte auch, er liebe mich und ich sagte es ihm, wir schrieben uns viele Briefe, weil

wir uns in einem Urlaub trafen, trennten uns 400 km voneinander. Alle meine Träume von Liebe, Romantik, eigener Familie, machen können was ich wollte, leben können wie ich wollte – unabhängig von den Eltern – frei - rankten sich um diesen Jungen. Ich dachte – für immer und ewig, wie sollte es anders sein.

Es gab in meinen Zukunftsträumen nur diese Variante – mit einem Mann gemeinsam zu leben und eine Familie zu gründen. Eine andere Option war nicht vorgesehen, war nicht vorstellbar.

Weshalb das Wesentlichste – für den Start in MEIN Leben war, diesen Mann zu finden.

Heute denke ich, dass ist vollkommen verrückt – aber so war ich geprägt, durch mein Umfeld.

 

Nach einem Jahr war es dann vorbei mit meiner großen Liebe, er konnte nicht mehr warten, bis wir uns öfter sehen konnten, ich war zu jung, auf mich passten noch die Eltern auf, er war schon achtzehn.

Da stürzte eine Welt für mich ein. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wieso

das vorbei sein sollte, obwohl wir uns doch liebten, obwohl ich doch schon meine ganze Zukunft mit dieser Liebe ausgemalt hatte.

 

Mit fünfzehneinhalb lernte ich meinen Mann kennen. Wirklich verliebt war ich nicht, nicht so, wie ich es kannte. Aber ich war ja auch davon überzeugt, dass man nur einmal wirklich lieben konnte, auch so eine unsinnige Prägung. Doch der junge Mann war mir interessant, er war so anders als ich, sein Leben, seine Familie, die Haltung, die Sichtweisen – alles ganz neu für mich. Das war gut, das zeigte mir, wie klein meine Welt bisher war und ich wollte mehr Fremdes und Neues.

Ich erweiterte also meinen Horizont, um diesen Menschen sehen und verstehen zu können,

ich liebte ihn dafür. Leider gelang es mir nicht, sein Interesse für meinen Horizont zu wecken,

er gab mir eher das Gefühl, seine Lebensart sei die einzig Richtige und ich müsste diese übernehmen. Ich bemühte mich, ihm auf seinem Horizont zu begegnen und lernte

viel Neues, lernte auch, was ich konnte und wollte und was nicht.

 

Wir heirateten, als er bei der NVA war. Es ging ihm dort schlecht, er schrieb mir Gedichte und plötzlich war er mir wirklich nah, so konnte ich erstmals auch meinen Horizont mit ihm teilen, das war mir der Himmel auf Erden – weshalb ich ein JA hatte, für diese Hochzeit. Doch als die NVA Zeit zu Ende ging, war er wieder ganz der Alte, rein materialistisch denkende und fühlende Mann – wie ich ihn vorher kannte.

Drei Jahre lang bemühte ich mich mit allen Mitteln, ihm näher zu bringen, was MEIN Leben ausmachte, mein sein, aber es war keine Hoffnung in Sicht, für ihn war es selbstverständlich, dass ich seine Sichtweisen teilen müsste und er meinte, dass meine eigenen völlig bekloppt wären. Doch so konnte ich nicht leben. Ich wollte lieben und so sein dürfen wie ich bin und geliebt werden, wie ich bin.

Ich reichte nach langem Ringen die Scheidung ein und er bekam alles was er wollte...

Unser Geld, unser Auto, unseren Bauplatz... mir bedeutete das alles nichts, ich gab es ihm gern, wenn ich im Gegenzug ich selber sein durfte und unser Kind bei mir haben konnte.

 

Dieses Thema „ich selber sein“ zog sich seit dem durch mein Liebesleben. Ich hatte ein großartiges Talent, mich in andere hineinzudenken und zu fühlen, ich war sehr neugierig auf alles, was mir selber fremd war und ich verlor mich dabei selbst.

Denn die Männer, die ich liebte, genossen meine Aufmerksamkeit, liebten meine Zuwendung und Neugier an ihrem Wesen, aber wenn es um mich ging, um meine Bedürfnisse, meine speziellen Sichtweisen – dann hörten sie nicht wirklich hin. Ich fühlte mich nicht gesehen, und nicht geliebt, als die, die ich bin, sondern nur als die, die ich sein sollte.

Was war hier verkehrt? Warum passierte mir das wieder und wieder?

 

Es hatte lange gedauert, bis ich begriff, dass ICH es selber war, die mehr Interesse am anderen hatte, mehr Liebe und Zuwendung für den geliebten Partner hatte – als für mich selbst. Ich war mir einfach nicht wichtig. Wie konnte ich mich da wundern, dass meine Partner mich nicht wirklich ernst nahmen, mir nicht wirklich zuhörten, wenn es um MICH

ging?

Mir wurde geraten, ich sollte noch viel mehr meinen Schmerz und meine Verletzlichkeit zeigen und nicht so stark tun, so als schaffte ich das alles alleine.

So zeigte ich mich immer mehr auch in meiner Ohnmacht, meinem Scherz, meiner Verzweiflung und Verletzlichkeit, in der Hoffnung, Trost und Verständnis zu finden, eine Schulter zum anlehnen, ich lernte sogar um Hilfe zu bitten - doch es funktionierte nicht.

Was passierte war, dass ich mir selber fremd wurde und mich so gar nicht mehr leiden konnte.

Es ging also nicht nur darum, Verletzlichkeit zu zeigen und zulassen, sondern darum,

mich selbst damit ganz anzunehmen und nicht darauf zu hoffen, dass wer anders das für mich tut, wenn ich gerade neben mir stehe und mich nicht leiden mag.

 

Denn wie sollte ich meinem Partner glauben, dass alles gut ist, wenn ich es selber nicht fühlen konnte. Wie sollte er mich trösten, oder sein Trost mich erreichen, wenn ich selber zweifle, an mir und daran ob ich O.K. war oder nicht?

 

Ganz früher, wusste ich mal, ohne jeden Zweifel, dass ich mit mir ganz zufrieden sein konnte,

ich mochte mich gern. Doch nachdem ich intensive Erfahrungen mit verschiednen Menschen machte und mir die einen sagten, ich wäre zu arrogant, die anderen ich wäre zu zurückhaltend, zu aufopfernd, die nächsten sagten, ich würde zu viel Jammern, die anderen ich würde zu tapfer sein... am Ende wusste ich nicht mehr, wer ich selber war.

 

Das waren viele Jahre der Selbsterkenntnis... ich musste mir erst mal selber wirklich nah kommen, mich selber sehen und verstehen – wie sollte jemand das können, wenn ich es selbst nicht konnte, wer war ich und wenn ja – wie viele?

Aber das war auch nur die halbe Wahrheit, denn ich war mir nah, ich fühlte und war mir meist bewusst was ich fühlte, was mich schmerzte, was ich mir wünschte, was mich erschreckte...

Denn ich schrieb viele Tagebücher, da steht das alles drin.

 

Was mir nicht gelang war, dass der Mann den ich liebte, mich wirklich sah, mich wirklich wahr nahm, mir zuhörte – es gelang mir nicht, sein Interesse an mir, an meinen Sichtweisen und Gefühlen zu wecken.

So als hätte ich eine riesige Palette Farben, die ich gern teilen wollte – doch wurde nur das rot und blau gesehen, der Rest war für meine Partner nicht existent.

Obwohl jeder Einzelne ganz fest behauptete mich aus tiefstem Herzen zu lieben und zu brauchen.

Es war so, als wären sich meine Partner immer selbst genug gewesen, als gingen sie davon aus, sie hätten mich, um sich geliebt, verstanden und unterstützt zu fühlen, um versorgt zu sein, um ein gemütliches zu Hause zu haben, nicht einsam zu sein, körperliche Nähe, Wärme und Sex zu haben und um ihnen die Kinder zu schenken, die sie sich wünschten.

Mein Unglücklichsein, meine Unzufriedenheit, meine Suche nach Nähe und Kontakt, nach verstanden werden – stieß auf taube Ohren.

So nach dem Motto: Ich weiß gar nicht was du immer hast - mir geht es doch gut...

Du kannst einem wirklich auf die Nerven gehen, mit deinen Problemen, wer keine hat, der macht sich welche...

 

Heute weiß ich, dass sie mich gar nicht sehen konnten, von da, wo sie standen. In ihrer Welt gab es nur rot und blau – sie konnten nur das in mir sehen, was sie durch ihre persönliche Brille wahrnehmen konnten und ich spürte, dass dies nur ein kleiner Teil von mir war.

 

Ich hatte Sehnsucht Frau zu sein, ich hatte Sehnsucht nach Hingabe, ich wollte mich fallen lassen können, wollte mich gewertschätzt fühlen, wollte mich mal tragen und mal halten lassen – doch dies war unmöglich.

Denn ich hatte kein Gegenüber, was Manns genug war, mir das zu geben,

oder besser – ich hatte das Gefühl – es könnte mich, mit meiner Fülle nicht tragen.

 

Ich selber war so sehr hinein Erzogen und gewachsen in die Rolle der Versorgerin, die, die sich um alles kümmert, die Geld verdient, die den Haushalt schmeißt, die lecker kocht und genau weiß, wann man wo, was einkaufen muss, die dem Mann den Rücken frei hält und schaut, was er braucht zu seinem Glück und versucht ihm das zu geben, aus Liebe, aus dem Wunsch heraus, eine harmonische Partnerschaft zu leben, in der Mann glücklich und zufrieden ist, denn dann bin ich es ja auch.

Aber ich war nicht glücklich – ich wollte auch... auch umsorgt werden und alles...

Ich merkte gar nicht, dass ich alle Rollen allein spielte und erfüllte, dass ich meinen Mann sozusagen arbeitslos machte. Denn ich machte alles selbst, ich brauchte gar keinen Mann – ich war es nicht gewohnt, einen zu brauchen, denn sogar das Fliesen legen, oder Holz hacken, war ich gewohnt selber zu können und zu machen.

 

Im Wahn der Gleichberechtigung wuchs ich als ein Wesen heran, was weder Mann noch Frau war, sondern Mensch. Und ich spürte, dass das wirklich Weibliche, mir bei diesem Tanz in allen Schuhen – abhanden gekommen ist.

 

Meine Kindheit zog immer wieder an mir vorbei. Ich hatte schon damals das Talent, zu sehen und zu riechen, wie ich mich verhalten musste, was ich tun musste – damit es den anderen gut ging. Sobald eine Erwartungshaltung in der Luft lag, spürte ich das und war bereit, diese zu erfüllen, denn das verstand ich unter: den anderen lieben.

Weshalb ich auch unbewusst davon ausging, dass jemand der mich liebt, auch spürt und sieht was ich brauchte und erwartete und mir das prompt erfüllte.

Das ist jedoch in meinen Partnerschaften nie geschehen worüber ich sehr enttäuscht war.

 

Ich hatte mich getäuscht... ich ging immer nur von mir selber aus, so wie wir alle das meistens tun, denn wovon sollen wir sonst ausgehen... die anderen, meine Partner waren aber nicht so wie ich, sie waren so, wie sie waren, sie waren ganz anders erzogen, ganz anders geprägt... Aber wie?

Konnte es sein, dass sie viel mehr darauf ausgerichtet waren, eine Frau zu suchen, die alles konnte und machte, was ihnen gut tat – als darauf, was sie selbst als Partner und Familienvater für Qualitäten haben sollten?

Und ich war die beste Kandidatin für solche Männer, weil ich allzu gern unter Beweis stellte, was ich alles konnte und wie flexibel und kreativ ich war ....

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Meine eigenen Bedürfnisse waren schon als Kind ziemlich unwichtig. Wenn ich mich nicht gesehen fühlte, und nicht verstanden, oder wenn einfach alles zu viel war, bekam ich schreckliche Migräne Anfälle. Es wurde auch nicht unterstützt, dass ich herausfand was ich selber wollte oder brauchte, sondern es wurde unterstützt, umsichtig und hilfsbereit und liebevoll zu anderen zu sein.

Jemand der an sich selbst zuerst dachte, oder überhaupt an sich selber dachte und seine Bedürfnisse über die, der anderen stellte, war ein Egoist – und das waren schlechte Menschen, solche, die immer das größte Stück Kuchen nahmen, die nie klein bei gaben, sondern immer ihren Willen durchsetzten, ohne Rücksicht auf andere – ein schlechter Mensch wollte ich natürlich nicht sein und nicht werden.

Meine Eltern konnten mir auch nicht vor machen, wie das ging, seine eigenen Bedürfnisse zu leben. Denn beide sind eher von dem Typ, zuerst alle anderen, dann eine weile nichts und dann ich. Dadurch dass sie beide so waren, hatten sie mit dieser Eigenschaft aber keine Probleme in ihrer Beziehung, die Eigenschaft hatte sich bewährt und wurde weiter gegeben.

 

Nun, die Aufgabe war also klar – ich musste zuerst mal lernen, mir selber all das zu geben, was ich mir von meinem Partner wünschte. Auf gewisse Weise hieß das für mich, ich musste lernen, egoistisch zu werden – mich selbst wichtig und ernst zu nehmen und nicht immer klein beizugeben. Eine echte Herausforderung, da Egoismus mit so viel negativen Bildern und Erfahrungen für mich verknüpft war – wie sollte das gehen, so zu werden, wie ich niemals sein wollte?

Also musste ich das Thema Egoismus noch tiefer erforschen, um zu erkennen, was wirklich da dran ist.

Im Flugzeug, hatte ich dann eine meiner größten Erkenntnisse – in Bezug auf Egoismus.

Die Stewardess vollführte die übliche Einweisung, in die Notfallhandhabe... wobei die Atemmaske eine wichtige Rolle spielte. Ich nahm sie zur Hand und las: „Nehmen sie in jedem Fall zuerst die eigene Maske zur Hand und erst wenn Sie selbst gesichert sind, helfen sie anderen, Kindern oder bedürftigen Menschen.“ Wie oft hatte ich das schon gelesen, wie oft schon war ich geflogen, doch nie ist mir die Botschaft dahinter bewusst geworden.

Erst wenn ich selber versorgt bin, kann ich anderen wirklich sinnvoll helfen. Es gibt ihn also, den guten Egoismus und er ist eine natürliche Vorraussetzung. Denn wenn ich nicht gut für mich selber sorge, dass ich stark, gesund und glücklich bin, kann ich auch nicht wirklich für andere sorgen, denn dann fehlt mir die Kraft dazu.

In meinen Partnerschaften hatte ich das gespürt, nach zwei bis drei Jahren, war ich jeweils so erschöpft, so ausgelaugt, oder sogar krank, weil ich vergessen hatte, für mich zu sorgen. Weil ich davon ausging, dass schon für mich gesorgt werden wird, wenn ich doch für die anderen sorge... Doch in meinem Fall, hatte das nicht funktioniert – ich sollte eben etwas anderes lernen.

 

Als nächstes wurde mir klar, das es ganz wesentlich war, meinem Partner Raum zu lassen – indem ich nicht automatisch alles selber machte, was es im Leben so zu tun gab – sondern mit ihm gemeinsam schaute, was seine Stärken waren, was er gut konnte und wie wir uns die Aufgaben teilen und uns am besten gegenseitig unterstützen konnten.

 

Nun hatte ich einen Partner, der fast immer genau wusste, was er wollte und davon ausging, dass ich das auch wollen müsste, ohne mich überhaupt zu fragen – wenn ich dann protestierte und erklärte, was ich wollte, fühlte es sich jedes mal an wie Krieg, wie böser Vorwurf. Ganz oft in solcher Art Streitgesprächen, gab ich nach kurzer Zeit schon nach, weil ich es einfach nicht aushalten konnte, weil mir plötzlich mein Wunsch oder Wille – im Gegensatz zu diesem Beziehungsstress wieder völlig unwichtig erschien.

Ich konnte es nicht ertragen, wenn mein Partner verzweifelt oder traurig war, weil ich etwas nicht wollte, oder anders wollte... lieber lenkte ich ein.

So weit war ich also gekommen, mit meinem gesunden Egoismuskonzept.

 

Irgendwann wurde ich krank, mein Körper wollte mir helfen, besser für mich zu sorgen und schickte mir alle möglichen Symptome, doch das erkannte ich damals nicht.

 

Ich schämte mich stattdessen vor meinem Partner, dass ich so ein Schlappschwanz war und dass er nun auf mich Rücksicht nehmen musste, ich nicht mehr alles machen konnte, was ich an Aufgaben übernommen hatte...

Aber ich hatte auch kein Vertrauen in meinen Partner, dass er es alleine schaffen würde,

ich fühlte mich unentbehrlich und konnte mich nicht loslassen...

Innerlich war ich völlig verzweifelt mit mir, war wütend auf meinen Körper, auf die Krankheiten – wieso auch das noch? Wieso gerade ich? Ich fühlte mich als Opfer, ich wurde immer kränker und erlaubte es mir nicht, im angemessenen Maße für mich zu sorgen, sondern versuchte auf Teufel komm raus – trotzdem alles zu geben und zu funktionieren und die Erwartungshaltung von mir selbst und meinem Partner zu erfüllen... auch wenn es mir nicht gelang.

 

Das war niederschmetternd. Ich fühlte mich als Versagerin auf der ganzen Linie. Irgendwann begann ich zu jammern, dass er mich nicht unterstützt, dass er keine Rücksicht auf mich nimmt, sondern so tut, als wäre ich gesund und stark und könnte alles schaffen.

Erst als es ganz, ganz schlimm war und ich dem Tod in die Augen geschaut hatte, fielen mir die Tomaten von den Augen...

Ich hatte es wieder mal geschafft, das alte Thema...

 

Ich verlangte oder wünschte mir etwas von meinem Partner, was ich mir selber nicht gab.

Denn ich hatte selber keinerlei Mitgefühl und Verständnis für mich und meinen erbärmlichen Zustand, sondern war im Vorwurf, war frustriert über meinen Körper.

Ich gönnte mir keine Erholung, sorgte nicht dafür, dass ich das bekam, was mir evt. geholfen hätte, sondern versuchte stark zu sein und weiter zu machen.

 

Als ich das erkannte, konnte ich gar nicht aufhören zu weinen.

Das tat so weh...

Drei Jahre Krankheit, Kampf und Verzweiflung und ich war selber schuld.

Ich selbst hatte mir das angetan – niemand sonst, auch nicht mein Partner.

Wie konnte ich so hart und so rücksichtslos zu mir selber sein?

Empfunden hatte ich nur die Härte und Rücksichtslosigkeit meines Partners.

 

Jedoch ich war es – die sich selbst nicht genug liebte, die sich selbst nicht wertvoll

genug war, alle Zeit und alle Unterstützung zu bekommen, um wieder gesund zu werden.

 

Doch dieser neue Vorwurf gegen mich... Du bist selbst an allem Schuld!

War so hart, so lieblos, dass ich daran fast zerbrach.

 

Irgendwann kam mir beim Lesen eines Textes die Erkenntnis, dass ich

durch den Selbstvorwurf, schon wieder lieblos mit mir war...

 

Und dass es darum geht, es einfach zu sehen wie es ist, denn schließlich

wusste ich ja nicht was ich tat – das Erkennen kam ja erst danach.

So sagte ich zu mir selbst:

„Ich vergebe mir, ich wusste nicht was ich tat, ich nehme mich in den Arm,

halte mich, wiege mich und hab mich lieb, ich bin mir nah und alles ist gut.“

 

Das entspannte mich und beruhigte mich und ich konnte mit mir Frieden schließen.

Plötzlich sah ich auch, dass mein Körper nicht mein Feind war – sondern mein Freund,

er wollte mich unterstützen, mich auf mich selbst zu beziehen, mir meiner Selbst und meiner Bedürfnisse bewusst zu werden... statt dessen hatte ich ihn verflucht – im Grunde hatte ich damit mich selbst verflucht – denn mein Körper, das bin ja ich.

Wie verrückt war das denn?

 

Nun sah ich wieder meinen ganzen Lebensfilm an mir vorbei ziehen, sah dieses Thema Selbstliebe, oder besser gesagt Abwesenheit von bewusster Selbstliebe – sich wie einen roten Faden, durch alle Partnerschaften winden.

Ich sah, dass ich in den Zeiten, in denen ich mit meinen Kindern allein lebte – zwischen den Beziehungen, was immerhin zusammen gerechnet 10 Jahre waren – viel gesünder, viel glücklicher, viel zufriedener und auch beruflich erfolgreicher war. In diesen Zeiten konnte ich mich verwirklichen und tat es auch, obwohl ich mit allen Schwierigkeiten einer allein erziehenden Mutter zu kämpfen hatte, das machte mir nichts aus.

 

Dabei dachte ich immer, gemeinsam sollte es leichter und besser gehen und erfüllter, sinnvoller und schöner sein.

 

Nun könnte man sagen, ich hatte einfach Pech gehabt, die falschen Männer eben...

Ich denke, es waren die Richtigen, um das zu begreifen, was mich heute aus macht.

 

Wenn ich heute zurück blicke, kommt es mir so vor, als rastete automatisch ein Schalter ein, wenn ich mich als Partnerin von einem Mann empfand. So als spielte ich dann eine bestimmte Rolle, die ich erlernt hatte, wie Frau zu sein hat, selbst dann, als ich erkannte, dass diese Rolle mir nicht gerecht wurde.

Denn wenn ich mit einem Mann zusammen war, dies aber nicht Partnerschaft nannte und mich weigerte, in diesen Mustern zu denken und zu fühlen, gab es diese Art Probleme, mich selbst zu verlieren gar nicht.

Es hatte also mit einem unbewussten Muster zu tun, was sofort griff, wenn bestimmte Vorraussetzungen geschaffen waren.

 

Meine sehr kurz gefasste Geschichte ist nur ein winziger Ausschnitt aus unzähligen Möglichkeiten, von Beziehungsgeschichten und persönlichen Neigungen und Prägungen

und Mustern.

Aber eines haben alle gemeinsam, sie haften an etwas, was alt ist, was längst überholt ist, was wir von Generationen vor uns unbewusst oder bewusst übernommen haben und was uns nicht mehr dient. An alten kollektiven Frauen- und Männerrollen, egal aus welchem Zeitalter, das ist individuell sehr verschieden.

An diesen Strukturen scheitern die meisten Menschen und Paare immer wieder und ich wünschte, es würde uns gelingen diese Zusammenhänge deutlicher zu erkennen und damit auch zu überwinden.

Denn wir sind dann nicht wir selbst, wir sind dann „im Film“ – doch es ist uns nicht bewusst.

 

Ich wünschte, wir Frauen und Männer könnten uns gegenseitig darin unterstützen, wir selbst zu werden und zu bleiben, statt uns auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu reduzieren,

nur um gemeinsam leben zu können.

 

Jetzt lebe ich seit fünf Jahren mit meiner kleinen Tochter alleine. Eine ganz bewusste Entscheidung. Alleine geht es mir gut, da kenn ich mich aus, da bin ich mir nah, da fühle ich, was ich brauche und was ich mir wünsche und sorge auch dafür, dass ich es bekomme.

Mit meinen Kindern hatte ich nie das Problem, dass ich mich selbst verlor, im Mutter sein, das hörte ich aber ab und zu von anderen Müttern... so etwas ist also auch möglich.

 

Mein Bild von lebendiger Partnerschaft ist nicht mehr rollenfixiert. Ich kann auch keine Eigenschaften aufzählen, die mein Partner haben sollte, oder nicht haben sollte...

Was ich mir wünsche, ist ein menschliches Gegenüber, was sich selbst bewusst ist,

was sich nicht reduziert auf wenige Eigenschaften – sondern bestrebt ist, die eigene

Farbenpalette zu leben und zu erweitern. Ein Tanz in der Vielfalt und Einzigartigkeit, ein Wechselspiel, in dem immer wieder klar wird, dass dies alles, nichts weiter ist, als das lebendige Spiel des Lebens selbst, in jedem Augenblick neu kreiert und nicht aus der Konserve...